Nietzsche

Friedrich Nietzsche (1844 - 1900)

Bewertung: 5 / 5

Stern aktivStern aktivStern aktivStern aktivStern aktiv
 

 

„Nicht Fett, sondern die grösste Geschmeidigkeit und Kraft ist das, was ein guter Tänzer von seiner Nahrung will, - und ich wüsste nicht, was der Geist eines Philosophen mehr zu sein wünschte, als ein guter Tänzer. Der Tanz nämlich ist sein Ideal, auch seine Kunst, zuletzt auch seine einzige Frömmigkeit, sein ‚Gottesdienst‘…“[1]

 Tanzen heisst Leichtigkeit, auch Wiederspruch – und Fröhlichkeit. Es ist eine fröhliche Wissenschaft die wir hier versuchen. Keine Beweise (wie will man schon die Zukunft beweisen) – aber redliches Bemühen um neue Perspektiven und Visionen. Die Realität wird uns dann schon zeigen wo es lang geht. Aber wie wird der Denker zum Tänzer?

„Drei Verwandlungen nannte ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kameele ward, und zum Löwen das Kameel, und der Löwe zuletzt zum Kinde.--“[2]

Eine Sonnenfinsternis mit Corona wandert durch das Portrait des geistig umnachteten Nietzsche und ein zerstörtes Büro mit verstreuten Glasscherben. Die Collage „Sonnenfinsternis und Corona“ von Joseph Beuys wurde missverstanden als Symbol für Nietzsches Beziehung zum Nationalsozialismus[3].Vielleicht kommt man dem Ursprung der Collage (und damit dem Wesen Nietzsches) durch Nietzsche selbst näher:

 Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? […] Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getötet!“[4]

Und kann Beuys eine Linie von Nietzsche zum Nationalsozialismus zeichnen wollen, wenn er sagt: „Warum beschäftigt sich jeder so sehr mit Duchamp? Wieso hat keiner ein bißchen länger über [...] Nietzsche nachgedacht?“[5]

Mit der durch den Mond verdeckten Sonne stellt sich die wunderbare Erscheinung der Corona ein. Nietzsche und sein Werk wirken selbst wie die Corona einer verdunkelten Zeit. Die Verdunkelung kündigt sich durch den Vormarsch der Phrase an, die Ausdruck der Seinsvergessenheit ist. So schrieb Karl Kraus, der durch "Die Fackel" 37 Jahrgänge lang gegen die Herrschaft der Phrase kämpfte: „Wenn die Menschheit keine Phrasen hätte, brauchte  sie keine Waffen." Nietzsche ist die Antithese zur aufkommenden Phrase, eine Antithese, die ihr Material der These entnimmt, die Form aber dem Erleiden der These. Es ist das Material und die Form der These, die in direkter Konsequenz in die Möglichkeit des maschinellen Massenmordes führt - nicht die Antithese.

 

Corona2Nietzsche1875Patmos [Friedrich Hölderlin]

Nah ist
Und schwer zu fassen der Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.
Im Finstern wohnen
Die Adler und furchtlos gehen
Die Söhne der Alpen über den Abgrund weg
Auf leichtgebaueten Brücken.
[…]

 

 


[1] Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft 381, S. 635, dtv/de Gruyter 1999

[2] Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra, Von den drei Verwandlungen, Band 4, S. 31, dtv/de Gruyter 1999

[3] Vgl. Geoff Waite: Nietzsches Corps/E, Duke University Press 1996 und Michael Hertl: Der Mythos Nietzsche und seine Totenmasken, Königshausen & Neumann, 2007. Der hier gemeinten Interpretation steht Cathrin Nielsen: Nietzsche und Beuys, Marburger Forum, Beiträge zur geistigen Situation der Gegenwart Jg. 8 (2007), Heft 5 näher.

[4] Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft 125, S. 481, dtv/de Gruyter 1999

[5] Beuys, zit. nach: Beuys zu Ehren, Städtische Galerie im Lenbachhaus München, München 1986, 77

You have no rights to post comments